Hо землю,                Doch das Land 
с которою                mit dem du 
вместе мерз,            gemeinsam frorst,вовек für ewig
разлюбить нельзя. nicht aufhörst zu lieben.
Der Wind klopft ein wenig gegen  die gewellten Plastikplatten und zieht an einigen daran aufgehängten  Tüchern. Anders als das Meer, riecht der Balkon nach Chlorwasser. So  gehen die Weinflecken aus dem weißen Plastiktisch schneller raus. Ich  war bereits vor einigen Stunden hier, kurz nach Mittag. Wir beide haben  gegenseitig voneinander gehört, aber ein Kennenlernen ließ einige Wochen  auf sich warten. Die Zettel an der Tür gegenüber des Sperrmüllhaufens  auf dem Dach in der Allenby Street lachen über die Besucher: „Institut  für Wohlriechkultur“, „Labor des gleichmäßigen Liegens“… Ein Klopfen,  ein Rauschen, und langsam öffnet sich ein dunkler Spalt. „Einen Moment…  Ich ziehe mir etwas an...“ Er steht inmitten seines schattenhaften  Zimmers, in Hose und Hemd, und wirkt dennoch kaum angezogen. Verhalten  und unbeholfen schiebt er seine langen Haare zurück, die in sein  zerfurchtes, angefärbtes Gesicht fallen und seine Brauen ziehen sich in  einem kindlichen Murren zur Nase. „Was halten Sie davon, wenn wir uns am  Abend sehen? Ich bin etwas ungewaschen und ungekämmt… Frischer mache  ich mehr Spaß.“ 
Gegen neun Uhr ist es schon  Nacht und rotes Licht legt sich über den Balkon. Rund um den weißen  Tisch stehen ein aufgesprungener, unbequemer Kunstlederstuhl, viele mit  Klebeband vermummte, in Stoff und Plastik eingewickelte Schränke und  Kisten. An der Wand zum Zimmer steht ein Sessel, mindestens so alt wie  sein Besitzer. Michail, Herr Ziv, wühlt seinen Körper vorsichtig in die  Polster hinein. Ohne sich umzudrehen verschwindet seine Hand hinter den  Kissen an seinem Rücken und kommt nach kurzem tasten mit einer Flasche  Rotwein wieder hervor. „Mögen Sie Roten? Er ist nicht besonders gut,  aber zum Anstoßen reicht er.“ Neben ihm, auf einem Beistellkasten steht  ein umgedrehtes Porträt – „an einen guten Freund und Dichter“. „Kann ich  es sehen?“ „Sicher, aber ich mag es nicht. Das bin ich nicht.“ Auf dem  dunkelgrünen Hintergrund thront ein adlerhafter Kopf mit blondem Haar,  spitzer langer, schnabelartiger Nase und finsterem Blick. „Er sieht böse  und dümmlich aus. Ich bin es nicht.“ Im winzigen, mit Büchern gefüllten  Zimmer, wo man sich stets an etwas vorbei hindurchwalzen muss, hängen  noch viele andere. Blumenvasen, Farbenspiele, Gesichter. Reihen- und  Stapelweise Ausgaben des Jerusalemer Journals und russischsprachiger  Gedichtbände. „Die drucken mich hin und wieder.“
Nach der Schule wollte Michail  Zuhause in St. Petersburg russische Philologie und Literatur studieren.  Als er es nicht durfte – „Mit dem Nachnamen in die russische Fakultät?!“  – schrieb er sich für Chemie ein. Man erinnerte sich noch gut an seinen  Vater, David Iosefovich Ziv, einen großen sowjetischen Radiochemiker,  der an der Entwicklung und Testversuchen an der ersten Bombe und  Gewinnung von Polonium beteiligt war. Eine Leninprämie hing an der  Familie, hier war der Nachname kein Problem mehr. Aber die Teilchen und  Atomverbindungen nahmen zu viel Platz ein, sodass zum Schreiben nichts  mehr übrig war. „ Natürlich trauerte Mutter, Vater war enttäuscht. Es  hieß immer, es sei unmöglich, dass jemand in der Familie keinen  Hochschulabschluss besitzt. Aber es hat sich herausgestellt, dass ich  zwar ein schlechter Radiochemiker, aber doch ein ziemlich guter  Umschlagarbeiter und Busfahrer bin.“ 
In der Zeit des 6-Tage-Kriegs,  als der Vater in seinem Leningrader Bett im Sterben lag, träumte er von  Israel und litt. Michael träumte nicht davon und litt auch aus anderen  Gründen, aber in der unteren Ecke der Windschutzscheibe seines Busses  klebte ein Magen David. „‘Mischka, der Zionist‘ nannten sie mich“, lacht  er und zündet sich mit leicht unsicherer Hand eine Zigarette an. Nach  dem „Nichtsystem“ der Kommunisten, der Tschechoslowakei, und Regalen  voll von ‚Samizdat‘, also nicht systemkonformer Literatur, bedeutete der  Zion für Mischka eine neue Freiheit. Ausland. Geldverdienen, neues  Leben. Am Anfang bemühte er sich um die neue Sprache, aber als nach  einigen Monaten der Absorptionskorb ausgeschöpft war, lernte er statt  Hebräisch Tellerwaschen. „Man sagt von den Migranten, die ersten drei  Jahre seien so etwas wie Entzugszeit. Danach soll es einfacher werden.  Bei mir dauerte es etwas länger.“ Der Kopf und das Herz gewöhnten sich  langsam an den neuen Boden, die Hand lernte schneller. Kreditkarten,  Ratenzahlung, neues Konto, neue Kreditkarte. „Teuflische Prozente haben  die hier“. Heute ist sein Konto gesperrt. Das Land kann er nicht  verlassen. 
Von einigen Wochen hat Michael  Ziv für seine Dichtung den Jurij-Stern-Preis bekommen. Von dem Preisgeld  könnte er über ein ganzes Jahr lang seine Miete bezahlen. Aber die  Prozente gehen vor. „Weißt du, warum in Russland so viel getrunken wird?  Aus Armut. Nichts zu verlieren. Trink, trink, es wird eh nichts  bleiben.“ Natürlich zieht es ihn zurück, es geht gar nicht anders. „Es  gab doch diese Zeilen von Majakowski… Wie war das nochmal? ‚Doch das  Land mit dem du gemeinsam frorst, das kannst du niemals eintauschen…‘  Oder so ähnlich… “ Aber irgendwie, leise und unbemerkt, ist Israel auch  etwas Eigenes geworden, etwas Heimisches. Etwas wo und wofür man lebt.  Und dessen Werte und Vorstellungen man annimmt. „In der Sowjetunion  waren wir alle Linke, gebadet in der Internationalen. Und hier sind wir  allesamt nach rechts gerückt.“ Auch Zuhause habe man hin und wieder den  kaukasischen Marktverkäufer „Schwarzgesicht“ genannt, aber das sei etwas  anderes gewesen. Auf eine alltägliche, nachbarschaftliche Art, „Mädchen  aus Taschkent haben wir nicht vergewaltigt.“ 
Heute, hier, ist es anders. „Wir  unterschieden nicht nach nationalistischen Kriterien, wir haben ein  Problem mit den Arabern nicht als Nation, sondern als Feind. Wir können  mit ihnen keine Einigkeit finden. Im Gegensatz zu uns ist deren heutige  Generation mit Hass groß geworden. Nationaler Hass ist, wenn mir die  Haarfarbe nicht gefällt. Bei uns ist es etwas anderes. Sie wollen nicht  bauen, sondern kämpfen. Gaunerisch und lüstern.“ 
Die Flasche Rotwein ist lange  leer, die zweite atmet und kämpft noch mit dem Chlor. Michail erzählt  von Pilzen und Wald, dem tiefen russischen. „Hier gibt es nur Palmen.  Weißt du wie ein Wald wächst? Zuerst gibt es schwarzen Sumpf, darauf  wächst irgendwann das Moos. Und dann, eines Tages, treibt der erste  menschliche Baum, die Kiefer. Die Kiefer verdrängt die Tanne. Und dann  wird alles wieder Sumpf.“ 
