Zuhause kann vieles bedeuten. Geborgenheit. Angekommensein. Besitzansprüche. Freiheit im eigenen Lebensraum. Oder auch dessen Enge. Zuhause ist der Ort, wo man Freunde und Fremde empfängt. Oder fernhält. Dort, wo man Herr sein will. Auf der Karte oder im Herzen. Im diesen Monaten bin ich zwischen Tel Aviv und Kiryat Yam um einen Film über die russischprachigen Einwanderer in Israel zu machen. Ihre Aliyah bedeutet Aufstieg, die Rückkehr der Diaspora. Die Rückkehr nach Hause. Es ist die Geschichte einer Suche nach diesem Ort und nach einem neuen Ich. Manch einer wird fündig, ein anderer nicht. Drei Menschen, drei Leben, drei Geschichten.

Mittwoch, 10. November 2010

Der Mensch des Jahres. Ein Abend im Norden.


Die Maschine hat viele Gesichter. Sie hat bunte Lippen und ebenso bunte gewobene Kunstfaser, Nadelstreifen und weiße Mokassins, und zwischendurch auch mal einen Goldzahn. Sie ist unruhig und froh wenn sie sich durch den Eingang in die Halle drängt. Bei der Temperatur schwitzt sie ein wenig und hält neben sich drei Plätze frei. „Tamara! Ja, ja, beseder, steh‘ nicht so rum, komm‘ her, mein Vögelchen...“ Die Tribünen füllen sich mit Gewirr aus fünf Hundert Stimmen, die sich gegenseitig etwas Neues, aber häufiger etwas Altes erzählen und deren Akzente eine satte Wolke bilden, die erst von zaghaftem, fleckigem Klatschen und sich legendem Licht unterbrochen wird. Es ist eine Zeitmaschine, die einen dreißig Jahre zurück und über zwei Tausend Kilometer in Richtung Sonnenaufgang führt.  So einfach. Ich bin gereist durch Dörfer und Republiken, an Orte, an denen ich niemals war und kenne sie doch so gut. Ihre Arten und Riten.

Der geladene Moderator ist das erste Mal in der Stadt und freut sich sehr. Auch seine Dolmetscherin, die seit zwanzig Jahren hier lebt freut sich. Ihr Kleid glänzt schön und die Stimme zittert. Das ein oder andere Wort wiederholt sie mit Nachdruck und in ihrem Hebräisch spiegeln sich die harten russischen Vokale. Wir danken dem gastfreundlichen Bürgermeister. Und dem Fernsehsender, der diesen Abend, an dem die ehrwürdigsten der ehrwürdigsten Bürger der Stadt von dem ehrwürdigen Komitee ausgezeichnet werden, ermöglichte. Für die Errungenschaft im Bereich der Literatur, für die Errungenschaft im Bereich der Physischen Erziehung, den Einsatz für die Kaukasischen Gemeinde – an Helden und Vorbilder unserer Stadt. Sauerstoffreiche Gesichter des Jugendblasorchesters und Jungen- und Mädchenkörper in schwarzem wallendem Samt und dagestanischen Tänzen lassen die bunten Lippen erst verstummen, um sie alsbald zu vergnügtem, teils stolzem Lächeln zu formen. Wir freuen uns in der ersten Kategorie den Spezialpreis der Jury an unseren werten Herr Bürgermeister zu verleihen! Auf dass er weiterhin so gut und gerecht über unsere Stadt regiert. Auf dass die dritte Legislaturperiode nicht auf sich warten lässt! Das Mikrofon hat es gut, es hat keine Wahl. Applaus, meine Damen und Herren!

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